Überrascht war ich schon als mir meine Frau erklärte, dass ich in ein paar Monaten Vater werden würde. Aber bald hatte ich mich an den Gedanken gewöhnt, und dies war weit einfacher, als sich an die sich ändernde Verhaltensweise meiner Frau zu gewöhnen. Wahrscheinlich ist das aufkeimende Nestbaubedürfnis aber ganz normal bei werdenden Müttern, und man lasst es einfach gewähren – stetig hoffend, dass die für alle neu anzuschaffenden Gegenstände (ohne die man nicht leben kann) verwendete Kreditkarte nicht hoffnungslos ausgenutzt werden würde. Schlimmer jedoch war, dass fest in Besitz genommene Zimmer oder Schränke, sowie eingebürgerte Rechte und Bräuche nun in Frage gestellt wurden. Gott sei Dank erfuhren wir rechtzeitig, dass wir einen Sohn bekommen werden. Dadurch konnten wir uns 50 % der Auseinandersetzungen über den Namen des Kindes sparen. Wie so oft setzte sich meine Frau durch und unser Sohn sollte einen skandinavischen Namen bekommen. Dies war okay, denn ein Wikingername für einen großen Seefahrer (wenn’s auch nur der Traunsee sein sollte) schien mir angebracht. Ich durfte außerdem den zweiten Vornahmen beisteuern. Meine Frau wollte einen Glen haben, was mir nicht sonderlich gefiel. Als zweite Variante stand Kennet zur Auswahl. Als ich dann bestimmte, dass Glen’s zweiter Name Fiddish sein sollte, und Kennet’s zweiter Name Andre, war die Entscheidung schnell gefallen. Kennet Andre sollte der neue Mensch heißen, wobei meine Frau mit diesem Namen ganz andere Personen assoziierte als ich. Bei Kennet dachte sie vor allem an Barbies schönen Freund Ken, während ich an den schwedischen Klassestürmer Kennet Andersson dachte. Die Zeit verging schnell und irgendwann schaute man einer Hebamme zu, wie sie das neue Menschenkind zur Welt brachte. Die Geburt war sicherlich nicht das viel zitierte gewaltige Erlebnis, aber als ich meinen Sohn dann erstmals in den Händen hielt, kam so etwas wie Stolz auf. Und dies obwohl der Neugeborene in erster Linie E.T. glich und Beinchen wie Soletti hatte. Als ich dann ein paar Tage später Frau und Kind nach Hause brachte hatte das Projekt „Kennet“ auch für mich begonnen. Die ersten Monate vergingen wie im Fluge, und ich registrierte mit Verblüffung, wie schnell sich Kennet weiter entwickelte, und wie unverschämt selbstsicher er sich im Mittelpunkt der Familie einnistete. Zugegebenermaßen fing ich an mich in dieses Bündel Mensch zu verlieben. Damit begannen auch diese Wachträume, in denen ich mir ausmalte was ich mit ihm eines Tages alles machen würde, und was ich ihm alles in sein Leben mitgeben wollte.
Kenny wäre nicht der Sohn seiner Eltern würde er nicht von klein auf ins eingespielte Familienleben integriert worden sein. Bereits mit vier Monaten trat er erstmals die lange Reise nach Norwegen an um seine Grosseltern zu besuchen. Im reifen Alter von 9 Monaten fuhr Klein Kenny erstmals zum Campen und Kanu fahren mit. Schnell hatten seine stolzen Eltern heraus, dass es ihm im Boot so gar nicht gefallen wollte. Dies lag in erster Linie an seiner tollen Schwimmweste in der er wie ein Käfer wirkte, und der berühmte Michelin Mann vergleichsweise ein Spargel wäre. Umso mehr gefiel ihm das Kanu an Land. Es hatte die ideale Höhe um sich daran aufzurichten, und sich an den Seitenwänden haltend herum zu bewegen. Auch im Boot selbst war es lustig – eine Art Freiluftgehschule. Diesen ersten Campingeinsatz hatte unser Sohn recht gut überstanden, sodass wir an größere Aufgaben denken konnten. Mit noch nicht einmal einem Jahr durfte er schon mit den Eltern über den hauseigenen See auf unserer Hütte am Fjell mitkommen. Aber selbes Resultat. Kein Interesse, da Schwimmweste einfach zu unangenehm. Diese Antipathie verlieh er äußert lautstark Ausdruck, sodass wir später von Nachbarn hörten, dass sich in den folgenden sechs Monaten kein Elch mehr an unseren See verirrte. Sollte dies vielleicht ein Zeichen sein, dass Kenny einmal ein großer Jäger werden würde? Unwichtig. Zurück zum Boot fahren. Also, nach diesen gescheitertem Versuch dem Sprössling das Kanu fahren schmackhaft zu machen, wurde uns klar, dass er momentan kein Verständnis für Papas Boot aufbringen wollte. Dafür gefiel ihm das kleine aufblasbare Gummikanu umso mehr, welches wir den Sommer über im Garten stehen hatten. Zwar war das Wasser nicht außen, sondern innen, denn wir hatten den Bootsboden mit 10 cm Wasser gefüllt, um ein Planschbecken zu schaffen. Es erfühlte den Zweck. Kenny planschte stundenlang in seinem Boot, und der genau beobachtende Vater war stolz darauf zu sehen, dass sein Sohn die heikle Situation im Kanu – nämlich 10 cm gefasster Wasserstand – fest im Griff hatte. Ein Versprechen für die Zukunft.
Im reifen Alter von 20 Monaten verbrachte Kenny wieder einmal ein paar Tage an unserem See. Und siehe da, plötzlich war Boot fahren lustig. Wahrscheinlich deshalb, weil seine Eltern etwas gescheiter geworden sind, und ihm statt der ungeliebten Schwimmweste ein Paar Schwimmflügerl verpasst hatten. Damit konnte er leben. Als er auch noch fischen durfte, konnte man ihn nur bei lautstarkem Protest aus dem Boot zehren. Ich weiß bis heute nicht, ob er wirklich fischen wollte, oder eher von der Technik der Spule so ungemein fasziniert war. Am selben Ferienaufenthalt haben wir gemeinsam unser erstes kleines Boot gebastelt. Aus einem Brett und ein paar Rundhölzchen haben wir ein Segelboot gebaut, es dann noch verschönert und in den See gesetzt. Knappe sieben Sekunden später konnten wir sehen, wie es kenterte und kieloben ins Schilf trieb. Welch eine Schmach für den Baumeister, der sich den vorwurfsvollen Blick seines Sohnes gefallen lassen musste. Dies führte dazu, dass ich mich ein paar Stunden später der Sache noch einmal annahm. Ich holte das Wrack aus dem See, renovierte es, baute es um, und bei zwei Nassversuchen bestätigte sich die Seetüchtigkeit des Bootes. Am nächsten Tag habe ich es dann mit großem Tamtam und unter den strahlenden Augen meines Sohnes in den See eingesetzt, und war erfreut, dass der leichte Wind meinen Zweimaster entlang des Ufers treiben ließ. Bevor ich mir noch die Bewunderung meines Sohnes verbal einholen konnte, hatte ein Wohlgezielter Stein meines kleinen Bewunderers das stolze, kleine Schiff versenkt, und mich wieder in die ernste und brutale Realität des täglichen Lebens zurück geholt.
Kurz nach seinem zweiten Geburtstag nahmen wir unseren aufstrebenden Jungseemann zum campen auf den Wolfgangsee mit. Nun war er soweit. Man musste das Wort Kanu nur in den Mund nehmen, holte sich Kenny seine Utensilien (Schwimmflügerl, Paddel, und Sonnenhut) und machte sich entschlossen in Richtung Strand auf. Dort paddelten wir beide vollkommen unkoordiniert mit unserem Kanu zwischen den Badegästen herum, und amüsierten uns köstlich über die strafenden Blicke der schwimmenden Köpfe im Wasser. Auch längere Touren zusammen mit seiner Mutter fand Kenny inzwischen recht lustig. Er wäre natürlich kein Kind würde ihm nicht nach ein paar Minuten paddeln fad werden. Diese Tatsache hatten wir mit einem einfachen Trick gelöst. So wie alle Kinder liebt Kenny das Wasser und noch viel mehr liebt er es, Steine rein zu schmeißen. Also nahmen wir auf unseren Seetouren immer zwei Sandkübel voller Steinchen mit, die er dann Stück für Stück im Wasser versenken durfte. Waren die Vorräte nach 30 bis 40 Minuten aufgebraucht, legten wir einfach irgendwo am Ufer an, und magazinierten wieder auf. Einfach, aber effektvoll.
Und wieder war ein Jahr vergangen. Klein Kenny war nun stolze Zweieinhalb. Wieder war das Anpaddeln angesagt. Am 1. Mai versammelten sich die paddelbegeisterte Gemeinde und baute eine große Wagenburg am Campingplatz in Ottenstein. Wir waren erstmals mit einem Wohnwagen angerückt. Ein großer Fortschritt in meiner Campingevolution. Erstmals aufrecht in der Unterkunft stehen; wahrlich ein neues Erlebnis. Auch für Kenny war der Wohnwagen eine akzeptable Alternative zu seinem Gitterbett (im Zelt hatte er immer protestiert). Wieder waren viele Leute gekommen und unter anderem auch eine Bande von Kindern. Der eher zurückhaltende Kenny bezog anfangs die Position des Beobachters, aber nach ein paar Stunden war er mitten im Trubel. Fußball spielen, Feuerholz sammeln, Holz sägen, Feuer machen, Boot fahren, klettern, und wieder Fußball spielen waren nicht nur seine bevorzugten Aktivitäten. Das Wetter war diesmal erstklassig und wir blieben sechs Tage am Stausee. Von Tag zu Tag wurde Kenny mit seiner Umgebung und den Leuten vertrauter. Schließlich wanderte er zwischen den Zelten und Wagen umher, plauderte mit allen, und staubte da und dort auch ein paar Süßigkeiten ab. In seinen Latzhosen, dem Kapperl, und den stets in den Hosentaschen befindlichen Händen sah er aber auch recht lustig aus. Am meisten so schien es hatte er neben der „Tante Legina“, die hübsche Julia ins Herz geschlossen. Voller Stolz registrierte ich, dass Kenny zu der Sorte Männer gehört, die Geschmack haben, aber auch zu der Minderheit von Zeitgenossen, die auf 10 Jahre ältere Frauen abfahren. Fragen, egal ob er sie verstanden hat oder nicht, wurden grundsätzlich mit einem „Jaaaaaa“ beantwortet, was den Frager wiederum das Gefühl geben musste, seine Fragen geistig qualifizierter zu stellen. Ein kräftiges „Nein!“ hatte er immer nur für seine Mutter über, die ihn anscheinend immer nur zum Waschen oder zum Bett gehen aufforderte. Auf ihre Frage ob er Hunger oder Durst habe, gab’s das interessante „Neijaaaaa“ zur Antwort, das gleichzeitig mit den Überlegungen in den Gehirnwindungen ausgesprochen wurde. Aber wer Kinder hat, weiß sowieso von was hier geredet wird.
Nun aber zum Hauptthema, dem Kanu fahren. Wir waren alle überrascht wie sich Kenny in den letzten Monaten geändert hatte. Kanu fahren war nun was Besonderes. Kaum ausgesprochen, stürzte er sofort auf sein Paddel, holte sich einen Hut und fragte nach der Schwimmweste. Diesmal war sie kein lästiges Etwas, sondern ein knallrotes Utensil, das sich stolz tragen ließ. Der Gang hinunter zum Boot war eine Art Zeremonie. Das Paddel auf der Schulter – genau wie sein Vater – und in der anderen Hand den Sandkübel. Problematisch wurde es bei den vielen tollen Steinen am Weg, die dank einer fehlenden dritten Hand nur mit komplizierten Umstellungen aufgehoben und mitgenommen werden konnten. Im Boot selbst war Kenny äußerst brav und geduldig. Er paddelte ein wenig, warf seine Steine ins Wasser, schaute sich die Landschaft an, und wenn’s dann fad wurde, packte er Kekse und ein Donald Duck Taschenbuch aus und begann zu lesen. Mit dieser Einstellung war es uns auch möglich eine längere Tour zu machen. Wir paddelten bis zum Kampeingang bei Zwettl und wieder zurück. Sieben Stunden insgesamt und Kenny protestierte nicht ein einziges Mal. Okay, auf der Rückfahrt wurde er müde und legte sich auf den Bootsboden um zwei Stunden zu „mützen“. Alles in allem aber eine positive Überraschung. Kanu fahren machte ihm natürlich auch Spaß weil dies immer mit Pausen, Picknicks, spielen, Sandburgen bauen, und Felsen klettern verbunden war. Also alles was einem kleinen Buben viel Spaß macht. Trotzdem, für mich als Vater war es ein gutes Gefühl zu sehen, dass Kenny auf dem von mir erwünschtem Weg ist, und dies ganz ohne Überzeugungsarbeit leisten zu müssen.
Die Zeit verging und ehe man sich verschaute wurde aus Klein-Kenny ein Lausbub namens Ken. Das Paddeln war ihm in die Wiege gelegt worden, aber die Liebe zur Natur und dem Wasser brachte er selbst mit. Einen Schuss Abenteuerblut hatte er vom Vater geerbt, und seine Mutter hat wohl dazu beigetragen, dass sich sein jugendlicher Wagemut mit etwas Vorsicht mischt. Alles in allem aber gute Voraussetzungen für den kleinen Halbwikinger einmal in die Fußstapfen großer Vorbilder – wie zum Beispiel sein Vater – zu treten.
-- GuenterDollhaeubl im Mai 2003